Gedanken zu Victor Klemperer

Bundesarchiv Bild 183 26707 0001 Victor Klemperer

Am 11.2.2015 fand in unserer Schulbibliothek eine feierliche Gedenkstunde zu Namensgeber unserer Schule statt. Herr Hoffmann und KollegiatInnen des Kurses Kreatives Schreiben erinnerten an die Person Victor Klemperer, lasen aus seinen Tagebüchern und stellten eigene Texte vor. Die vollständigen Texte der Kollegiatinnen finden Sie weiter unten.

Bildquelle: „Bundesarchiv Bild 183-26707-0001, Victor Klemperer“ von Bundesarchiv, Bild 183-26707-0001 / Höhne, Erich; Pohl, Erich / CC-BY-SA. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de


 

Zwei Texte aus dem Kurs Kreatives Schreiben:

 
Victor Klemperer und Ich

„Vater" fragt also ein Junge im Zirkus, „was macht der Mann auf dem Seil mit der Stange?"
„Dummer Junge, das ist eine Balancierstange, an der hält er sich fest." „Au Vater, wenn er sie aber fallen lässt?" „Dummer Junge, er hält ihr ja fest." (Zitat eines Zitates aus L.T.I. Victor Klemperer)

Victor Klemperer inspirierte dieses Zitat, da er daraus die Idee entwickelte, seine geistige Arbeit als Philologe, die ihm während der schweren Jahre als Jude im Dritten Reich niemand nehmen konnte, sei so etwas wie eine Balancierstange. Eine Sache, an der man bis zum Schluss festhält, um nicht in den Schlot der Tiefe zu fallen, um die Hoffnung nicht zu verlieren. Seine Balancierstange war die geistige Arbeit, die ihn vom Abgrund, dem Tod, ablenkte und sogar half nicht auffällig in Erscheinung zu treten.
Ich entnehme diesem Beispiel seiner Verarbeitung, dass es wichtig ist, für die Zukunft mit Dingen vorzusorgen, die einem wichtig sind und die im Fokus stehen auch wenn aller weltlicher Besitz nichtig wird.

Bildung.

Ich kannte Victor Klemperers Namen nicht bevor ich an diese Schule kam. Bis ich genaueres über ihn in der Einführungsveranstaltung erfahren habe, war ich tatsächlich, vom Unverständnis meines Umfeldes derart verunsichert, ob meine Entscheidung, wieder zur Schule zu gehen, nicht der verwerflichsten Form von Egoismus zugrunde liegt, dass ich mit dem Gedanken spielte einfach aufzustehen und das Kolleg zu verlassen. Dies alles mag sehr romantisch klingen, doch meine ich was ich schreibe. Ich sage mit Absicht, dass ich seinen NAMEN nicht kannte, denn die Person, hinter der sich dieser Name verbirgt, stellte sich als mir vertraut heraus.
Ich hörte von einer Person, er war einst ein Schüler, der vorzeitig vom Gymnasium abgegangen und auf Drängen der Eltern eine kaufmännische Ausbildung angefangen hatte. Auf dem zweiten Bildungsweg machte diese Person das Abitur und widmete sich dann dem Studium. Dieser Mensch hieß Victor Klemperer aber dieser Mensch heißt auch Ivy Kräuter, stellte ich erstaunt fest. Genau so hat mein Lebenslauf begonnen und so sollte er in meiner Vorstellung weitergehen.

Nachdem ich nach der 11. Klasse vom Gymnasium abgegangen war und meine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann erfolgreich abgeschlossen hatte, stand für mich die Arbeitswelt offen.
„Nie mehr Schule!", feierten meine Azubi-Kollegen am Tag der Zeugnisvergabe.
Familie und Bekannte, betrachteten meine Laufbahn als eingeschlagen. Sie Hinterfragten nie, ob ich das, was ich tat aus innerer Überzeugung tat. Es schien auch niemanden zu interessieren, immerhin war Ivy nun in trockenen Tüchern.
Mit 22 Jahren hatte ich in meiner Branche bereits alles erreicht. Es dauerte nicht lang und ich begann zu Vermissen. Schule. Freude. Das Leben. Ich vermisste nicht das Schulgebäude oder die Mitschüler, sondern ich vermisste die Institution Schule. Ich hatte das Gefühl, dass mit jedem körperlich anstrengenden Tag, den ich mir mit Materiellem versuchte zu versüßen, mein Geist verhungerte. Ich traf damals MEINE erste wichtige Entscheidung.
Meine Zeit darauf in Finnland war unbeschreiblich wichtig für mich. 2,5 Jahre gewöhnte ich mich an einen neuen Lebensstandard und dachte viel nach. Nicht Materielles bestimmte mein Leben, sondern die Liebe, Muße und das Vergnügen zu Lernen. Mein Leben begann sich zu füllen, doch geriet ich an meine Grenzen.
Ich sage nicht, dass man diese Situation mit Victor Klemperers gleichstellen kann. Doch entdecke ich viele persönliche Parallelen zu diesem Mann und seinem Lebenslauf. Hatte ich doch die Wahl getroffen meinen Lebensstandard zu verändern, so wurde er dazu gezwungen. Ich bin dankbar in der leichteren Situation zu stecken.
Zur Lehre gedrängt wurden wir beide.
Zur selben stumpfsinnigen Arbeit ausgebildet, die uns nicht erfüllen konnte, auch.
Der Wunsch – das Studieren, ist uns gemein.
Die nächste wichtige Entscheidung war reif und Victor Klemperers Schicksal motivierte mich.
Ich denke ihn verstehen zu können, was er mit der Balancierstange meint, von der er im LTI immer wieder spricht. Man kann ihn als Vorbild betrachten, wenn es darum geht aus seinem Schicksal heraus wertvolle Botschaften zu vermitteln. Es war schwer mein Umfeld von diesem Entschluss zu überzeugen. Aber darum geht es nicht mehr. Ich weiß, dass ich stetig daran arbeite meine Balancierstange, die noch keinem anderen dienlich sein muss, zu entwickeln. Victor Klemperer meisterte, seine Balancierstange derart einzusetzen, nicht nur sein eigenes Gewicht auf dem Drahtseil zu halten, sondern mit ihr auch auf die essentiellen Werte des Lebens zu deuten. Wenn mir das auch gelänge, wäre mein Lebensziel erfüllt, doch dazu brauche ich noch viel Zeit, Kraft und Erfahrung. Doch sind Träume nicht ein wichtiger Schritt, um die Hoffnung zu bewahren? Und sind wir nicht alle für uns selbst verantwortlich, bevor wir anderen helfen können? „Der Patron" Victor Klemperer, dessen Name über den Türen des VKK prangt, ist mehr als nur ein Name. Für mich bedeutet sein Schicksal, dass ich nicht alleine bin, auf meinem Weg, mein Leben zu verwirklichen. Und in seinem Dienste ist es sicherlich auch für die Lehrer an diesem Kolleg einfacher, sich der Verantwortung Ihrer Arbeit bewusst zu werden, denn Viktor Klemperer ist einer von uns und sein Name erinnert uns täglich an unser Ziel. Die Besinnung auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben, so schmerzlich Klemperers Erfahrungen gewesen sein müssen, ist etwas, dass er dank seiner Bücher nachhaltig der Nachwelt erzählen kann. Als unerfüllt agierender Kaufmann wäre der Welt dieser Beitrag verschlossen geblieben. Darüber muss man sich auch im Klaren sein, wenn man dieser Person gedenkt.

11.2.2015

 


 

Victor Klemperer und ich

Jeden Tag die Vorfreude auf ein Mitarbeiteressen, dass dann nicht stattfindet. Die Würde ist unantastbar - dieser demokratische Grundsatz gilt weder für alle Minderheiten noch in Küchen. Tagelang kein Essen und nachts dann noch an der Tankstelle eine Tafel Schokolade kaufen um ein wenig Energie zurück zu gewinnen. Zum runterkommen noch Serie gucken und Schoko- Haselnuss genießen. Und dann direkt morgens aufspringen, schnell die Kochjacke bügeln, los rennen, den Zug gerade so erwischen und sich den ganzen Tag, zumindest 14 Stunden lang, anschreien lassen. Wenn es irgendwann nur noch wenige Stunden sind, sich selbst dabei ertappen, zu wissen, wie schnell alles kippen kann. Während des routinierten Zwiebelschneidens der Versuch, den eigenen Geist zu beschäftigen. Der Wunsch, das Abitur nachzumachen, ist schon lange da; länger als es möglich war. Immer wieder interessant gestaltete Hindernisse die jedoch nie in der Lage sind die Sicht auf die eigenen Ziele vollständig zu verdecken. Ich lasse mich nicht kaputt machen. Bloß nichts nicht zu Ende machen, wenn die Realität losgeht. Und immer das Ziel vor Augen: Abitur. Erst fallen sie in sich zusammen, weil sie nicht mehr da ist. Da bin ich gut genug um den Haushalt zu schmeißen und mich um die Familie zu kümmern. Zu stützen, zu denken und zu tragen. Und dann fällt plötzlich auf, dass ich nicht wie alle anderen bin. Komisch. Und anstelle mir in dieser Situation zu helfen und mich zu unterstützen, indem was ich tue, wirft man mich wie Ballast ab. Kaum sind die Familienverhältnisse erst mal gepatched und meine Rolle wieder die der Tochter, kann man nichts mehr mit mir anfangen. Ich bin Dreck, also komme ich weg. Ich habe mich nicht gewehrt, um sie nicht zu verletzen. Ich habe versucht Positives zu finden, dort, wo ich dann war. Und ich habe es geschafft. Umgeben von Menschen, die mir sagten, ich könne nichts, habe ich mich für das angestrengt, was mir wichtig ist. Jetzt bin ich hier und einen Schritt weiter. Vielleicht sogar einen großen.

11.02.2015

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